DIE GESCHICHTE DER CRAMER-KLETT-SIEDLUNG

DER EISENGIESSEREI KLETT & CO. / MASCHINENFABRIK AUGSBURG-NÜRNBERG (MAN) WERK GUSTAVSBURG

Die Geschichte des neuen Gustavsburg begann 1856 mit dem Bau der Eisenbahnlinie Mainz-Darmstadt-Aschaffenburg. Das Gelände der Gustavsburg erwarb die private hessische Ludwigseisenbahngesellschaft. 1858 wurde die Bahnstation Gustavsburg ihrer Bestimmung übergeben. 1860 eröffnete die EISENGIESSEREI KLETT & CO. aus Nürnberg einen Montierungsplatz für die im Bau befindliche Eisenbahnbrücke über den Rhein.

Der Betrieb, der auch nach Fertigstellung der Brücke in Gustavsburg ansässig blieb und später in der MAN (Maschinenfabrik Augsburg-Nürnberg, 1908) aufging, verhalf dem Ort zu einer glänzenden Entwicklung.

Die um 1885 einsetzende Produktionserweiterung des Werk Gustavsburg und dem damit bedingten größeren Bedarf an Arbeitskräften und der Notwendigkeit zu deren wohnlicher Versorgung, waren ursächlich für die Errichtung der Cramer-Klett-Siedlung im Volksmund noch heute als “Arbeitersiedlung” beschrieben.

Am 17. Oktober 1896 wurde in einer MAN-Aufsichtsratssitzung der Bau der Arbeiterhäusern genehmigt. Rund um den zentralen Cramer-Klett-Platz entstanden in den drauffolgenden Jahren insgesamt 36 Häuser mit 148 Wohneinheiten, die vom Oberbaurat Prof. Karl Hofmann aus Darmstadt entworfen worden sind.

Mit der Planung der Gesamtanlage wie auch des größten Teils der Häuser war OBERBAURAT PROF. KARL HOFMANN aus Darmstadt, früherer Stadtbaumeister von Worms beauftragt, der diesem Gebiet seine noch heute unverwechselbare architektonische Gestaltung verlieh. Um Eintönigkeit zu meiden, bekam jede Familie einen eigenen Hauseingang und individuell gestalteten Garten. Auch unterschieden sich die Häusertypen der Eck-, Doppel- und Vier-Familienhäuser, um für eine Abwechslung in der Siedlung zu sorgen, die bis heute währt.

Cramer-Klett-Platz im Jahr 1928
Wohnhaus Augsburgerstr. / Gerberstr. im Jahr 1906

Ihr Grundriss gleicht einem Rechteckraster, die Straßen verlaufen parallel zueinander. Während der Planungsphase rückten die am Entwurf Beteiligten jedoch von der strengen Symmetrie ab, um sich eher am Vorbild eines organisch gewachsenen Dorfes aus der vorindustriellen “heilen” Zeit zu orientieren.

Die ursprünglich als gerade geplante Straße, die mitten durch die Siedlung führte, verwandelten sie in eine leicht geschwungene Straße, und der in 1898 fertiggestellte Cramer-Klett-Platz lag auch nicht mehr haargenau in der Mitte der Arbeitersiedlung.

Die Siedlung wurde nach THEODOR FREIHERR VON CRAMER-KLETT, der von 1847 bis 1884 Leiter der Maschinenfabrik Klett und Co. (späteren MAN) war, benannt.

Baugeschichtlich und städtebaulich bedeutsam sind die aufwendigen Baugestaltungen in Anlehnung an den englischen Landhausstil der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts und an die damals neu aufkommende Gartenstadtidee und die zweckmäßige Grundrisskonzeption. Durch Unterbringung der Arbeiter in Einzelhäusern mit Gärten hatte die MAN schon um die Jahrhundertwende eine betriebliche Wohlfahrtseinrichtung geschaffen.

DER AUFSCHWUNG DES WERKS

Mit der Verlegung des Konstruktionsbüros für Brücken- und Hochbau 1901 von Nürnberg nach Gustavsburg, gelangte auch der Ingenieur und Regierungsbaumeister Max Carstanjen, der 1895 eine Stelle bei Klett & Co. in Nürnberg angetreten hatte, an die Mainspitze. Rieppel, in dieser Zeit Vorstandsvorsitzender der Nürnberger und Gustavsburger Betriebsstätten, vertraute Carstanjen unter Ernennung zum Direktor die Leitung des Brückenbaues an.

Mit dieser Personalie vollzog sich für das Werk Gustavsburg ein bedeutender Schritt zur Fortentwicklung eigener technischer Innovationen und der Erweiterung des Geschäftsfelds.

Montagehalle und Großraumwerkstatt des MAN Werk Gustavsburg im Jahre 1907

ARBEITEN UND LEBEN

Das MAN Werk Gustavsburg im Jahr 1918

Das Leben in Gustavsburg wurde in den Jahren sehr von dem Arbeitsablauf der MAN bestimmt. Morgens die großen Gruppen der Werktätigen, die zum Werk strömten, mittags die Frauen, die ihren Männern, das Mittagsmahl brachten und abends die langen Reihen derer, die in die Siedlungen zurückkehrten.

Schwierig wurde es ab 1923, als passiver Widerstand gegen die französische Militärregierung und hohe Reparationszahlungen die Inflation in absurde Höhen trieben. Im November 1923 hatte ein MAN Arbeiter 767 Milliarden Mark Stundenlohn, aber ein Pfund Fleisch kostete 3.200 Milliarden und ein Zentner Kartoffel 50.000 Milliarden Mark. Die ersten Gustavsburger verloren in der Folgezeit vorrübergehend ihre Arbeit.

In der Inflationszeit brachte das MAN-Werk eigene Geld-Gutscheine heraus, um der galoppierenden Inflation der 1920er Jahre zu begegnen.

GUSTAVSBURG GEHÖRTE ZU MAINZ

Nach einer Zeit der wirtschaftlichen Beruhigung musste mit der Weltwirtschaftskrise ab 1929 eine weitere wirtschaftliche Notlage verkraftet werden. In diesen „unsicheren” Zeiten nahm die Gemeinde Ginsheim-Gustavsburg Verhandlungen mit Mainz auf, um eine Eingemeindung nach Mainz zu erreichen.

Am 1. Januar 1930 erfolgte dann die Eingemeindung beider Ortsteile nach Mainz. Beide Teile erhielten zunächst eine eigene Ortsverwaltung.

Damit wuchs die Mobilität ein wenig, denn Gustavsburg erhält neben der Bahn nun auch eine Stadtbusverbindung nach Mainz. Gleichwohl bestimmen bis weit in die 1930er Jahre hinein Pferde- und Kuhgespanne das Straßenbild.

Wer in dieser Zeit ein Fahrrad hatte, war schon „gut dabei”. Autos und Motorräder hatten Seltenheitswert und waren nur ab und zu auf der Darmstädter Landstraße zu sehen.

Busanbindung Mainz-Gustavsburg im Jahr 1930

DER ERSTE WELTKRIEG

Während des Ersten Weltkriegs verschoben sich die Aufträge in der Sparte des Brückenbaus mehr und mehr von der Errichtung neuer Brücken zum Wiederaufbau und der Reparatur gesprengter und durch Kriegsfolgen beschädigter Brücken. Auf mehr als 40 Baustellen in Deutschland und Europa mussten aus diesen Gründen die Gustavsburger Konstrukteure, Stahlbauer und Monteure tätig werden.

Ende der 70er Jahre wollte sich die MAN – wie viele andere große Unternehmen auch – von ihren Werkswohnungen trennen. Durch den Verkauf der gesamten Cramer-Klett-Siedlung am 1. Juli 1979 an die Gemeinnützige Baugenossenschaft Mainspitze wurden die Nutzung als Wohnraum, die zentrale Steuerung aller erforderlichen Baumaßnahmen und eine einheitliche Gestaltung sichergestellt.

1980 wurde mit umfangreichen Sanierungsarbeiten begonnen und pro Jahr zwischen zwölf und 18 Wohneinheiten saniert. Infolge des zum Teil desolaten Zustandes der Bausubstanz wurden umfangreiche Instandsetzungsarbeiten eingeleitet, so wurden auch neue Holzfenster und Holzaußentüren an den Siedlungshäusern erneuert. Zielvorstellung war zum einen die Erhaltung und Wiederherstellung der Gebäude in ihrer ursprünglichen Form, die sich in Türmchen, Erkern, Gauben und vielerlei Giebelformen darstellt, zum andern die gleichzeitige Verbesserung des Wohnkomforts. Seit 2009 verkauft die gemeinnützige Baugenossenschaft Mainspitze einzelne Wohneinheiten.

EINWOHNERZAHLEN VON 1834 BIS 1970

1858 hatte Gustavsburg 10 Einwohner, 1896 wurden in 25 Wohngebäuden 251 Einwohner gezählt. 1901 waren es bereits 1100. Einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebte auch der Gustavsburger Hafen. Sein Umschlag betrug 1867 51 000t, 1901 waren es 1 140 000t. Postalisch wurde Gustavsburg von Mainz versorgt. Die Kinder besuchten die Schule in Ginsheim, die Katholiken gehörten zur Pfarrei Kostheim, die Protestanten nach Ginsheim. 1899 entstand eine evangelische Notkapelle, 1912 die Pfarrkirche. Ein katholisches Gotteshaus entstand in den Jahren 1908 bis 1928. 1908 bekam Gustavsburg ein eigenes Standesamt. Um 1900 deckte das Gustavsburger Steueraufkommen 76% des Ginsheimer Gemeindehaushaltes. Da sich Gustavsburg in zunehmenden Maße durch den Ginsheimer Gemeinderat benachteiligt fühlte, betrieb ein Bürgerverein – Gustavsburg war im Gemeinderat nicht vertreten – in den Jahren 1902/ 03 die Ausgemeindung aus Ginsheim. Die Bemühungen blieben jedoch ohne Erfolg.

Ab 1930 gehörten Ginsheim und Gustavsburg nach Mainz. Nach 1945 blieb die Gemeinde Ginsheim-Gustavsburg hessisch. Es gibt eine gemeinsame Verwaltung und einen gemeinsamen Haushalt, der Verwaltungssitz ist seit 1948 in Gustavsburg. Ende März 1976 wurde der Gemeinde das Recht verliehen, ein einheitliches Wappen und eine Flagge zu führen.

Datenquelle: Historisches Gemeindeverzeichnis für Hessen / Stadtsarchiv Mainz
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